Pressemeldungen Indien | 20 August 2018

Indien zehn Jahre nach dem Massaker von Orissa

Vor 10 Jahren erlitten die Christen im indischen Bundesstaat Orissa das schlimmste Pogrom der bisherigen Geschichte: 100 Christen wurden ermordet, 18‘000 verwundet und fast 300 Kirchen zerstört. Im Jahr 2018 ist die Lage der Minderheiten in Indien nach wie vor sehr besorgniserregend.

 

 
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Vor 10 Jahren erlitten die Christen im indischen Bundesstaat Orissa das schlimmste Pogrom der bisherigen Geschichte: 100 Christen wurden ermordet, 18‘000 verwundet und fast 300 Kirchen zerstört. Im Jahr 2018 ist die Lage der Minderheiten in Indien nach wie vor sehr besorgniserregend. Das erklärte Regierungsziel besteht darin, aus dem säkularen Staat eine Nation zu machen, in welcher der Hinduismus die Staatsreligion ist.

Burgdorf, 21. August 2018 – 100 Christen wurden nach der Ermordung des Hindu-Führers Swami Laxmanananda Saraswati am 23. August 2008 in Kandhamal getötet. Maoisten bekannten sich zur Tat. Aber Hindu-Fundamentalisten griffen lokale Christen an, zerstörten ihr Eigentum und zwangen sie unter Folter, ihren Glauben zu verleugnen.

In den folgenden Unruhen, die sich im ganzen Bundesstaat Orissa ausbreiteten, wurden 6000 private Häuser, die Christen gehörten, und 300 Kirchen geplündert und niedergebrannt. Insgesamt wurden 18‘000 Christen verletzt und mehr als 56‘000 vertrieben. Die Demütigungen gegen sie haben sich vervielfacht: Hunderte von Christen wurden rasiert, gezwungen, kothaltiges Wasser zu trinken, zum Hinduismus zu konvertieren und sich dem Reinigungsritual der Hindutva zu unterwerfen.

Zeugen unter Druck

Die Aufarbeitung erfolgte nur schleppend. Druck auf die Zeugen und Vorurteile der Polizei erschwerten die Arbeit der indischen Justiz. «Täter werden kaum vor Gericht gestellt, und wenn doch, werden sie nur sehr selten verurteilt, während unschuldige Menschen zu Unrecht angeklagt werden», sagte Dibakar Parichha, Anwalt und Sprecher der katholischen Erzdiözese Cuttack-Bubhaneswar. Im Oktober 2013 verurteilte das Bezirksgericht Phulbani im Bundesstaat Orissa acht Personen, darunter sieben protestantische Christen, zu lebenslanger Haft wegen Mordes an dem Hinduführer Swami Laxmanananda Saraswati.

Inzwischen haben die Angehörigen der Opfer eine Entschädigung vom indischen Staat erhalten und die meisten Kirchen wurden wieder aufgebaut. Aber viele Christen wagen es bis heute nicht, in ihre Dörfer zurückzukehren, aus Angst vor den noch immer virulenten Hindu-Fundamentalisten.

Gewalttätiger geworden

Denn parallel zur rasanten wirtschaftlichen Entwicklung im letzten Jahrzehnt hat die religiöse Intoleranz in Indien stark zugenommen. Der traditionell als friedlich geltende Hinduismus, die Religion der die grosse Mehrheit der Bevölkerung angehört (72 Prozent der 1,3 Milliarden Einwohner), ist viel gewalttätiger geworden

Dieser Trend hat sich seit Mai 2014 und dem Amtsantritt von Premierminister Narendra Modi beschleunigt. Weil mit ihm die hinduistische Bharatiya Janata (BJP) Partei regiert und seitdem überall im Land die Straffreiheit für hinduistische Extremisten, die Gräueltaten gegen religiöse und ethnische Minderheiten begehen, weiter zugenommen hat.

Umstrittene Rolle des Premierministers

Letzte Woche (15.8.18) verurteilte der indische Premierminister Narendra Modi zum ersten Mal offiziell die Gewalt gegen Minderheiten in seinem Land und erklärte: «Jeder hat die Pflicht, die Bedrohung durch Lynchmorde zu bekämpfen. Niemand kann unter keinen Umständen durch Gewalttaten die Gerechtigkeit in die eigenen Hände nehmen.» Aber seine Kritiker sagen, dass nach vier Jahren an der Spitze einer hinduistischen nationalistischen Regierung diese Stellungnahme zu spät kommt.

In der Tat, seit Modis BJP an die Macht kam, hat die Zahl der Gewalttaten gegen Christen, Muslime und Dalits (Mitglieder der niedrigsten Kaste Indiens) dramatisch zugenommen.

Wachsende Kultur der Straflosigkeit

«Hinduistische Nationalisten zielen auf Minderheiten. Allein 2017 stieg die Zahl der Gräueltaten gegen Christen um 20 Prozent», sagte Tehmina Arora, Juristin und Leiterin der Menschenrechtsgruppe ADF India.

Zum Status der christlichen Minderheiten fügt sie hinzu: «Wenn sie zur Polizei gehen, kooperiert sie kaum und weigert sich oft, die Beschwerde aufzunehmen. Es gibt eine wachsende Kultur der Straflosigkeit in Indien. Wir konnten nur 25 Strafanzeigen einreichen, verglichen mit mehr als 240 gemeldeten Vorfällen im Laufe des Jahres.»

Gezielte Angriffe auf Christen

Letzten Monat wurden ein Pastor und sein Sohn im Zentrum von Madhya Pradesh ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem sie von einer Gruppe von 30 Hindu-Radikalen angegriffen worden waren, als sie nach einem Gebetstreffen nach Hause zurückkehrten, so «International Christian Concern».

Als der Pastor versuchte, sich bei der Polizei zu beschweren, sagte ihm der zuständige Beamte, er würde ihn ins Gefängnis stecken, «weil er öffentlich über Jesus sprach», und fügte hinzu: «Wissen Sie nicht, dass die BJP an der Macht ist?»

Das fragliche Antibekehrungsgesetz

«Ich konnte nicht mehr mit dem Polizisten reden, weil er die gleiche Meinung wie meine Angreifer hatte. Wir hatten niemanden, der uns verteidigen konnte», sagte Pastor Ramesh Vasunia nach einem weiteren Zwischenfall im Oktober 2017 im Dorf Jaida. Er wurde schliesslich mit einer Haftstrafe von sechs Monaten belangt.

Madhya Pradesh ist einer von sieben indischen Staaten, die ein «Anti-Bekehrungsgesetz» anwenden. Obwohl diese Gesetze angeblich dazu gedacht sind, «erzwungene» Bekehrungen zu verhindern, werden sie in Wirklichkeit oft dazu genutzt, alle Bekehrungen - ob mit Gewalt oder durch freie Wahl - und insbesondere Bekehrungen zu Minderheitsreligionen wie dem Christentum zu verhindern.

Platz 11 auf dem Weltverfolgungsindex

Auf dem Weltverfolgungsindex von Open Doors, der die religiöse Verfolgung von Christen in mehr als 60 Ländern registriert, in denen die Religionsfreiheit nicht respektiert wird, zeigt sich, dass Druck und Gewalt gegen die indischen Christen deutlich zugenommen hat.

Tatsächlich rückte Indien auf dem Verfolgungsindex von Platz 28 im Jahr 2014 auf Platz 11 am Ende des vergangenen Jahres vor.


 

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