Der 18. Geburtstag sollte für ein junges Mädchen eigentlich ein Freudentag sein, an der Schwelle zum Erwachsensein. Leah Sharibu jedoch hat wenig Grund zu feiern, denn ihre Kindheit war am 19. Februar 2018 abrupt zu Ende, als sie von Kämpfern der radikal-islamischen «West African Province of the Islamic State» (ISWAP), einer Fraktion von Boko Haram, gemeinsam mit 109 meist muslimischen Mädchen aus ihrer Schule in Dapchi, Yobe State, entführt worden war. Alle Überlebenden wurden einen Monat später freigelassen, nur Leah, damals 14, die sich weigerte, ihren christlichen Glauben aufzugeben und zum Islam zu konvertieren, blieb in Gefangenschaft.
Seitdem gab es spärliche Nachrichten; nach der anfänglichen Androhung, Leah hinzurichten gab Boko Haram bekannt, sie als Sklavin zu behalten. Während eines Besuchs in den USA im April des Jahres der Entführung versprach Präsident Buhari, sich für ihre Freilassung einzusetzen, doch seitdem wurden diese Bemühungen wenig sichtbar. Über ihren Aufenthalt und ihren Zustand ist wenig gesichert bekannt, ihre Familie muss weiterhin in Ungewissheit leben, gibt aber die Hoffnung nicht auf, ihre Tochter wiederzusehen.
Entführungen und gezielte Überfälle auf Frauen und Mädchen sind vor allem in Sharia-dominierten Bundesstaaten (mittlerweile in zwölf der 36 Bundesstaaten) eine bewusst eingesetzte Taktik von Boko Haram, um die christliche Bevölkerung einzuschüchtern, zu vertreiben und zu dezimieren.
Christliche Frauen und junge Mädchen werden verschleppt, zwangsverheiratet und zur Konversion zum Islam gezwungen. Sie werden als Sklavinnen gehalten und nach Belieben missbraucht, festgehalten oder weitergereicht, manchmal auch zur Durchführung von Selbstmordanschlägen genötigt.
Eltern, die ihre Kinder befreien möchten, stossen oft auf Widerstand und Untätigkeit der kommunalen Gemeinschaften, Polizei und Gerichte, da eine solche Heirat nach islamischen Recht zulässig ist. Selbst freigekommene Opfer von Entführung und Vergewaltigung werden häufig von ihren Dorfgemeinschaften ausgestossen, wenn aus diesem Missbrauch Kinder hervorgegangen sind, werden sie oftmals als ständiges Zeichen der Schuld und Scham abgelehnt.
Auf diese Weise werden die Quellen des gesellschaftlichen Lebens und Zusammenhaltes, von Dorfgemeinschaften bis zur Keimzelle Familie, gezielt angegriffen und zerstört. Die Menschen sind schwer traumatisiert, häufig verlieren sie darüber hinaus ihre Einkommensquelle und wirtschaftliche Lebensgrundlage.
«Die Menschen leben in ständiger Bedrohung, Frauen sind besonders gefährdet. Sie werden Ziel von Entführungen, oder sie bleiben alleine, ohne wirtschaftliche Grundlage und schwer traumatisiert zurück, wenn ihr Mann getötet wurde. Die Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage, Perspektiven, sozialen Zusammenhalt und Sicherheit», schildert Pastor Suliman (Name geändert) die verzweifelte Situation der Christen in Nordnigeria. «In jedem Konflikt gibt es auch wirtschaftliche Ziele, natürlich spielen sie auch in Nordnigeria eine Rolle. Doch die wichtigste Motivation in den Anschlägen ist religiös begründet. Diese Gruppen kämpfen den Jihad, sie haben ganz klar das Ziel, dass Christen sich den Regeln des Islam unterwerfen. Das heisst, dass sie Muslime werden. Das ist die einzige Bedingung, damit sie aufhören», erteilt Suliman dem Erklärungsversuch eine Absage, es wären soziale Auseinandersetzungen oder Konflikte zwischen Hirten und Bauern um Weide- oder Ackerland. Er ist seit 20 Jahren in Nordnigeria in Nothilfe- und Entwicklungshilfeprojekten sowie Traumabewältigung tätig und begleitet Opfer von Überfällen und Entführung.
«Wir haben Leah nicht vergessen!», betont Philippe Fonjallaz, Leiter von Open Doors Schweiz. «Wir müssen auch ihren Eltern zeigen, dass die Welt ihre Tochter nicht aufgegeben hat. Es liegt an unserer Regierung in Österreich und in anderen westlichen Ländern, auf die nigerianische Regierung einzuwirken, die umgehende Freilassung von Leah Sharibu zu fordern und alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu nutzen, diese Ziel zu erreichen und Sicherheit zu gewährleisten. Leah und die vielen anderen jungen Mädchen und Frauen, die wegen ihres Glaubens entführt, festgehalten und missbraucht werden, brauchen unsere Solidarität und Unterstützung. Das Recht, seinen Glauben frei zu wählen und auszuleben ist unteilbar, das Recht von Mädchen und Frauen, in Würde und frei von Angst und Bedrohung zu leben, muss von uns allen eingefordert und verteidigt werden.»
Open Doors weist in seinem jährlich erscheinenden Bericht zur geschlechtsspezifischen Verfolgung auf die doppelte Verwundbarkeit von christlichen Frauen und Mädchen hin. Sie sind aufgrund ihrer meist gesellschaftlich verankerten geringeren Stellung und Abhängigkeit verletzlich, wenn sie Christinnen sind, werden sie zudem Opfer gezielter Angriffe gegen die religiöse Minderheit.
Auf dem Weltverfolgungsindex 2021 liegt Nigeria auf Rang 9 unter den Ländern, in denen Christen am stärksten wegen ihres Glaubens verfolgt werden.
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